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“Ach, du schreibst? Was hast du schon veröffentlicht?”

Man kennt es: man ist auf einer neuen Schule, frisch auf der Uni, neu im Job, auf einer Party unter lauter Fremden. Umgeben von Menschen, denen man sich erstmal vorstellen muss. Und wenn Schule, Studiengang, vorheriger Job, Wohnort, etc. abgegrast sind, kommt irgendwann die Frage: “Und was machst du sonst noch so?”

Ich antworte dann immer ganz selbstbewusst: “Schreiben.” Für einen kurzen Moment ist die andere Person beeindruckt: “So richtig Bücher? Hast du schon was veröffentlicht?” “Nein.” 40% der Personen fragen dann trotzdem weiter, was ich schreibe und ob sie mal was lesen dürfen. Natürlich erzähle ich ihnen gerne alles ins letzte Detail (und vergesse dann, ihnen die versprochenen Kapitel zukommen zu lassen... sorry!)

Die anderen 60% wiederum verlieren prompt jegliches Interesse an dem zuvor beeindruckenden Hobby und gehen zum nächsten Thema über. Früher hat das sehr an mir geknabbert: darf ich mich überhaupt Schriftstellerin nennen? Sollte ich vielleicht einfach nicht über das Schreiben reden, bis ich einen unterschriebenen Vertrag vorweisen kann?

So ein Quatsch! Ich schreibe Geschichten, seit ich wusste, wie man Buchstaben nebeneinandersetzt (ich behaupte nicht, dass sie von Anfang an sinnige Wörter ergeben haben). Wenn ich keine Schriftstellerin bin, woher kommen dann all die Texte auf meinem Laptop und in diversen Ordnern bei meinen Eltern? Schriftsteller*in wird man durch das, was man tut (nämlich schreiben), nicht dadurch, was die Außenwelt mit den enstandenen Geschichten macht.

Außerdem: wer fragt, ob ich veröffentlicht habe, will eigentlich wissen, ob ich veröffentlicht wurde. Die Enttäuschung wäre bei self-publishing wohl genauso groß - schließlich basiert die Frage auf der Annahme, dass man, um schreiben zu dürfen, erstmal die Erlaubnis der Literaturindustrie braucht, den Stempel “das ist gut, das ist richtige Literatur, weiter so”.

Eine weitere, grundlegend falsche Annahme hinter der Frage: jede schreibende Person schreibt, um veröffentlicht zu werden. Als ob alle von uns Lust hätten, unsere Texte den (sich dauernd verändernden) Ansprüchen der Verlage zu unterwerfen! Bücher sind nur so und so lang, du musst ein klar definiertes Genre haben, schreib für deine Zielgruppe, und warum folgt deine Struktur nicht der “hero’s journey”!? Manche Leute - munkelt man - schreiben einfach, weil es ihnen Spaß macht.

Natürlich leben wir nach wie vor in einem kapitalistischen System, was bedeutet, dass man alles, was man beginnt, irgendwann so gut beherrschen muss, um damit potentiell Geld zu verdienen. Hobbys zählen ganz klar dazu - und so stellen wir immer höhere Ansprüche an Dinge, die uns eigentlich “nur” Freude bringen sollen. Chapeau an dieser Stelle an jene, die trotz diesem gesellschaftlichen Druck “einfach nur” aus Spaß an der Sache schreiben!

Mir war schon in der Grundschule klar, dass ich veröffentlichen will, dass meine Bücher in Bibliotheken und Ärztewartezimmern und Buchläden stehen sollen. Aber das nimmt jenen, denen das unwichtig ist, nicht ihre Existenzberechtigung in der Literaturwelt. Und ihr Geschriebenes ist auch nicht “minderwertig”, nur weil diese Person kein Geld dafür erhält!

Ich sehe es nicht so eng mit der Selbstbezeichnung als Schriftstellerin - mir ist egal, wie lange jemand schon schreibt, oder wie viele Bücher diese Person im Jahr produzieren kann, und wenn jemand veröffentlicht (oder veröffentlicht wird) kann ich mich für diese Person freuen. Es nimmt in meinen Augen aber nichts vom “Schriftstellerinnen-Status” der anderen weg.

Es gibt genau einen Schlag von Menschen, die mich fuchsig machen, wenn sie sich als Schriftsteller*innen bezeichnen: die Leute, die “da schon eine ganz genaue Idee” haben, 1000 Ratgeber gelesen haben, daher alles besser wissen, aber noch kein einziges eigenes Wort auf’s Blatt bekommen haben.

Denn, ich sag’ es jetzt nochmal: wer schreibt, ist Schriftsteller*in. So einfach isses.

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