justinesleng
Auf ein Neues
Der Dezember kam mir dieses Jahr nicht länger vor als eine Woche. Uni, Arbeit, Uni, Arbeit, Weihnachtsgeschenke und zack, sitze ich bei der Familie unterm Weihnachtsbaum. Klar, der Monat ist noch nicht vorbei; die magische Zeit, die wir als “zwischen den Jahren” bezeichnen, steht noch bevor.
Ich habe mit diesem Jahr schon vor einigen Wochen abgeschlossen. Was das Schreiben anbelangt, war es das frustrierendste, unproduktivste Jahr seit langem. Vielleicht sogar das mieseste Schreibjahr, seit ich schreibe.
Wenn ich mir mein Privatleben anschaue, war es außerdem ein sehr turbulentes Jahr voller spontaner Entscheidungen. Ich hätte vor sechs Monaten nicht raten können, wo ich jetzt, am Ende des Jahres, stehe, und vor allem, was vor mir liegt.
Ich werde mein Studium voraussichtlich in Regelstudienzeit abschließen können.
Ich habe eine Praktikumsstelle gefunden, die mir Spaß machen wird.
Und die größte Entscheidung zum Schluss: ich werde nach Schweden ziehen.
Aufregende Zeiten. Es wäre naiv anzunehmen, dass sich keiner dieser Umstände auf meine Schreiberei auswirken wird. Um mein letztes Semester an der Uni gut hinter mich zu bringen, werde ich in den ersten drei Monaten des Jahres extrem viel lernen müssen. Ambitionierte Schreibziele haben da keinen Platz. Während des Praktikums wiederum werde ich viel Zeit haben, die ich ins Schreiben investieren kann. Und was dann in Schweden passiert, ist noch komplett offen. Fest steht, dass ich dort mehrere hervorragende Schreiborte kenne (und Kaffee nachfüllen kostenlos ist, was die Produktivität erheblich steigert).
Aber welche Schreibziele setze ich mir, wenn der Rest meiner Pläne noch so schwammig ist?
Jetzt kommt erstmal eine der besten Zeiten im Jahr: die Woche “zwischen den Jahren”. 2021 hat nicht mehr so richtig Grip, aber der Stress des nächsten Jahres hat auch noch nicht begonnen. Ich habe mir Urlaub von der Arbeit genommen und werde versuchen, so viel Zeit wie möglich in Lernen und Schreiben zu investieren, um mit einem guten Gefühl aus diesem Jahr herauszugehen. Dafür habe ich mir keine Ziele gesetzt wie “5 Kapitel schreiben” oder “15.000 Wörter”. Ich werde schauen müssen, was geht.
Allgemein hat das vergangene Jahr mir (sehr schmerzhaft) gezeigt, dass meine bisherige Art der Zielsetzung nicht das Richtige für mich ist. Durch den Vergleich mit anderen Schriftstellenden habe ich zu sehr auf das Produkt und weniger auf den Prozess konzentriert. Experimentieren war also nicht drin - obwohl das eigentlich der spaßige Teil kreativer Arbeit ist. Außerdem bin ich einfach keine schnelle Schreiberin. Ich kann zwar überdurchschnittlich viele Wörter pro Minute produzieren, aber bis ich vom Anfang eines Romans bis zu seinem Ende gekommen bin, vergeht viel Zeit. Und ja, manchmal gehe ich zurück und überarbeite ein paar Stellen, noch bevor das Manuskript fertig ist.
In den letzten Jahren scheint es in der Schreibwelt eine zunehmende Einigkeit zu geben, dass es das wertvollste, das befriedigendste am Schreiben ist, etwas fertigzustellen. Versteht mich nicht falsch - es ist wahnsinnig befriedigend, irgendwo “Ende” drunter zu schreiben und das war’s. Aber das ist einfach nicht mein Prozess. Ich arbeite gerne an drei bis vier Projekten gleichzeitig, schreibe nebenher noch kurze Szenen und Texte, die ich danach nie wieder gebrauchen kann und lasse ein Projekt auch mal ein Jahr lang liegen, wenn ich nicht weiterkomme. Nicht, weil ich es aufgebe, sondern weil ich meistens nach einer gewissen Zeit wieder mehr Ideen dafür habe. Ab und zu beiße auch ich die Zähne zusammen und kämpfe mich durch ein paar Kapitel, die sich definitiv gegen mich verschworen haben. Aber das ist immer nur kurzzeitig. Es widerstrebt mir, wochen-, oder sogar monatelang verkrampft an etwas zu schreiben, nur um dann sagen zu können, dass ich es geschafft habe. Ja, natürlich hasst man manchmal seine Projekte, obwohl man sie eigentlich liebt. Natürlich lohnt es sich dann, durchzuhalten. Natürlich jammert man über seine Protagonist*innen, über Handlungsstränge, die ins Leere laufen. Aber dieses erzwungene Märtyrertum, das kollektive Narrativ von “na ja, als richtige*r Schriftsteller*in gehört es dazu, zu leiden und 70% der Zeit alles zu hassen”, geht mir ordentlich gegen den Strich. (...und hier kämen meine Rants über die Romantisierung von Hustle Culture & toxische Produktivität... ein andermal wieder)
Meine Schreibziele für das kommende Jahr sind noch nicht final überdacht, aber eins steht fest: ich werde mich wieder mehr dem Prozess des Schreibens hingeben, anstatt immer nur das Endprodukt im Blick zu haben.
So oder so wünsche ich erst einmal frohe Weihnachten - und eine geruhsame Zeit zwischen den Jahren.